Teil 8: Berufung und Wiederaufnahme Artikel 81
(1) Gegen ein Urteil nach Artikel 74 kann in
Übereinstimmung mit der Verfahrens- und Beweisordnung wie folgt Berufung
eingelegt werden:
a) Der Ankläger kann aus einem
der folgenden Gründe Berufung einlegen: i) Verfahrensfehler,
ii) fehlerhafte Tatsachenfeststellung
oder
iii) fehlerhafte Rechtsanwendung.
b) Der Verurteilte
oder zu seinen Gunsten der Ankläger kann aus einem der folgenden Gründe
Berufung einlegen:
i) Verfahrensfehler,
ii) fehlerhafte Tatsachenfeststellung,
iii) fehlerhafte Rechtsanwendung
oder
iv) jeder andere
Grund, der die Fairness oder Verlässlichkeit des Verfahrens oder des Urteils
beeinträchtigt.
(2) a) Gegen den Strafspruch kann der Ankläger oder der Verurteilte in
Übereinstimmung mit der Verfahrens- und Beweisordnung wegen der Unverhältnismäßigkeit
zwischen Verbrechen und Strafmaß Berufung einlegen.
b) Gelangt der Gerichtshof aus
Anlass einer Berufung gegen den Strafspruch zu der Auffassung, dass Gründe
für eine vollständige oder teilweise Aufhebung des Schuldspruchs vorliegen,
so kann er den Ankläger und den Verurteilten auffordern, Gründe nach Absatz 1
Buchstabe a oder b vorzubringen; er kann in Übereinstimmung mit Artikel 83
eine Entscheidung über den Schuldspruch fällen.
c) Das gleiche Verfahren findet
Anwendung, wenn der Gerichtshof aus Anlass einer allein gegen den Schuldspruch
gerichteten Berufung zu der Auffassung gelangt, dass Gründe für die Herabsetzung
des Strafmaßes nach Absatz 2 Buchstabe a vorliegen.
(3) a) Soweit die Hauptverfahrenskammer nichts anderes anordnet, bleibt
ein Verurteilter während des Berufungsverfahrens in Haft.
b) Überschreitet
die Haftzeit eines Verurteilten die verhängte Freiheitsstrafe, so wird
er freigelassen; hat indessen der Ankläger ebenfalls Berufung eingelegt,
so kann die Haftentlassung nach Maßgabe der unter Buchstabe c genannten
Bedingungen erfolgen.
c) Im Fall
eines Freispruchs wird der Angeklagte vorbehaltlich der folgenden Bestimmungen
sofort freigelassen:
i) unter
außergewöhnlichen Umständen und mit Rücksicht unter anderem auf die konkrete
Fluchtgefahr, die Schwere der zur Last gelegten Straftat und die Wahrscheinlichkeit
eines erfolgreichen Ausgangs der Berufung kann die Hauptverfahrenskammer
auf Antrag des Anklägers den Freigesprochenen während des Berufungsverfahrens
weiterhin in Haft halten;
ii) gegen
eine Entscheidung der Hauptverfahrenskammer nach Buchstabe c Ziffer i
kann in Übereinstimmung mit der Verfahrens- und Beweisordnung Beschwerde
eingelegt werden.
(4) Vorbehaltlich des Absatzes 3
Buchstaben a und b wird die Vollstreckung des Urteils beziehungsweise
der Strafe während der zulässigen Berufungsfrist und für die Dauer des
Berufungsverfahrens ausgesetzt.
Artikel 82
(1) Jede der Parteien kann in Übereinstimmung
mit der Verfahrens- und Beweisordnung gegen jede der nachstehenden Entscheidungen
Beschwerde einlegen:
a) eine Entscheidung betreffend die Gerichtsbarkeit
oder Zulässigkeit;
b) eine Entscheidung, mit der
die Haftentlassung der Person, gegen die sich die Ermittlungen oder die
Strafverfolgung richten, gewährt beziehungsweise abgelehnt wird;
c) eine Entscheidung der Vorverfahrenskammer,
nach Artikel 56 Absatz 3 aus eigener Initiative tätig zu werden;
d) eine Entscheidung betreffend
eine Frage, welche die faire und zügige Durchführung des Verfahrens oder
das Ergebnis des Hauptverfahrens maßgeblich beeinflussen würde und deren
sofortige Regelung durch die Berufungskammer das Verfahren nach Auffassung
der Vorverfahrenskammer oder der Hauptverfahrenskammer wesentlich voranbringen
kann.
(2) Gegen eine Entscheidung der
Vorverfahrenskammer nach Artikel 57 Absatz 3 Buchstabe d
kann der betroffene Staat beziehungsweise der Ankläger mit Zustimmung
der Vorverfahrenskammer Beschwerde einlegen. Über die Beschwerde wird
beschleunigt verhandelt.
(3) Eine Beschwerde hat nur dann
aufschiebende Wirkung, wenn die Berufungskammer dies auf entsprechenden
Antrag in Übereinstimmung mit der Verfahrens- und Beweisordnung anordnet.
(4) Der gesetzliche Vertreter der
Opfer, der Verurteilte oder ein gutgläubiger Eigentümer von Vermögensgegenständen,
auf die sich eine Anordnung nach Artikel 75 nachteilig auswirkt,
kann entsprechend der Verfahrens- und Beweisordnung gegen die Anordnung
zur Leistung von Wiedergutmachung Beschwerde einlegen.
(1) Für die Zwecke eines Verfahrens
nach Artikel 81 und diesem Artikel verfügt die Berufungskammer über
alle Befugnisse der Hauptverfahrenskammer.
(2) Befindet die Berufungskammer,
dass es dem Verfahren, gegen das Berufung eingelegt wurde, in einer Weise
an Fairness mangelte, dass die Verlässlichkeit des Urteils oder des Strafspruchs
beeinträchtigt wurde, oder dass das Urteil oder der Strafspruch, gegen
die Berufung eingelegt wurde, durch fehlerhafte Tatsachenfeststellung,
fehlerhafte Rechtsanwendung oder Verfahrensfehler wesentlich beeinträchtigt
wurde, so kann sie
a) das Urteil oder den Strafspruch aufheben oder
abändern oder
b) eine neue Verhandlung vor einer anderen Hauptverfahrenskammer
anordnen.
Zu diesem Zweck kann die Berufungskammer eine Tatsachenfrage an die ursprüngliche
Hauptverfahrenskammer zur Entscheidung und entsprechenden Berichterstattung
zurückverweisen, oder sie kann selbst Beweis erheben, um die Frage zu
entscheiden. Wenn nur der Verurteilte oder zu seinen Gunsten der Ankläger
Berufung gegen das Urteil oder den Strafspruch eingelegt hat, kann das
Urteil oder der Strafspruch nicht zum Nachteil des Verurteilten abgeändert
werden.
(3) Stellt die Berufungskammer
bei einer Berufung gegen den Strafspruch fest, dass das Strafmaß in keinem
Verhältnis zum Verbrechen steht, so kann sie das Strafmaß in Übereinstimmung
mit Teil 7 abändern.
(4) Das Urteil der Berufungskammer
ergeht mit der Stimmenmehrheit der Richter; es wird in öffentlicher Sitzung
verkündet. Das Urteil enthält eine Urteilsbegründung. Besteht keine Einstimmigkeit,
so enthält das Urteil die Auffassungen der Mehrheit und die der Minderheit,
doch können die Richter auch persönliche oder abweichende Meinungen zu
Rechtsfragen abgeben.
(5) Die Berufungskammer kann ihr
Urteil in Abwesenheit des Freigesprochenen oder des Verurteilten verkünden.
Artikel 84 (1) Der Verurteilte oder nach seinem
Tod sein Ehepartner, seine Kinder, Eltern oder eine zum Zeitpunkt des
Todes des Verurteilten lebende Person, die vom Verurteilten ausdrücklich
schriftliche Anweisungen erhalten hat, einen solchen Antrag zu stellen,
oder zugunsten des Verurteilten der Ankläger können bei der Berufungskammer
einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich des rechtskräftigen
Schuldspruchs oder Strafspruchs stellen mit der Begründung, dass
a) neue Beweismittel bekannt geworden
sind, die
i) zum Zeitpunkt
der Verhandlung nicht vorlagen, ohne dass dies ganz oder teilweise der
antragstellenden Partei zuzuschreiben war, und
ii) so wichtig
sind, dass sie wahrscheinlich zu einem anderen Urteil geführt hätten,
wenn sie während der Verhandlung entsprechend gewürdigt worden wären;
b) erst jetzt
entdeckt wurde, dass entscheidende Beweismittel, die bei der Verhandlung
berücksichtigt wurden und auf denen der Schuldspruch beruht, falsch sind,
ge- oder verfälscht wurden;
c) ein oder
mehrere an dem Schuldspruch oder der Bestätigung der Anklage beteiligte
Richter in dieser Sache eine so schwere Verfehlung oder Amtspflichtverletzung
begangen haben, dass ihre Amtsenthebung nach Artikel 46 gerechtfertigt
ist.
(2) Die Berufungskammer verwirft
den Wiederaufnahmeantrag, wenn sie ihn für unbegründet hält. Erachtet
sie den Antrag als begründet, so kann sie je nach Sachlage
a) die ursprüngliche Hauptverfahrenskammer wieder
einberufen;
b) eine neue Hauptverfahrenskammer bilden oder
c) selbst die Zuständigkeit für die Angelegenheit
behalten,
mit dem Ziel, nach Anhörung der Parteien in einer der Verfahrens- und
Beweisordnung entsprechenden Weise zu entscheiden, ob das Urteil revidiert
werden soll.
Artikel 85
(1) Jeder, der unrechtmäßig festgenommen
oder in Haft gehalten worden ist, hat einen Anspruch auf Entschädigung.
(2) Ist jemand wegen einer strafbaren
Handlung rechtskräftig verurteilt und ist das Urteil später aufgehoben
worden, weil eine neue oder neu bekannt gewordene Tatsache schlüssig beweist,
dass ein Fehlurteil vorlag, so ist derjenige, der aufgrund eines solchen
Urteils eine Strafe verbüßt hat, nach rechtlichen Vorschriften zu entschädigen,
sofern nicht nachgewiesen wird, dass das nicht rechtzeitige Bekanntwerden
der betreffenden Tatsache ganz oder teilweise ihm zuzuschreiben ist.
(3) Unter außergewöhnlichen Umständen
kann der Gerichtshof, wenn er schlüssige Tatsachen feststellt, aus denen
hervorgeht, dass es zu einem schwerwiegenden und offenkundigen Fehlurteil
gekommen ist, nach eigenem Ermessen in Übereinstimmung mit den in der
Verfahrens- und Beweisordnung vorgesehenen Kriterien einer Person Entschädigung
zuerkennen, die nach einem rechtskräftigen Freispruch oder einer aus diesem
Grund erfolgten Verfahrenseinstellung aus der Haft entlassen worden ist.
Teil 9: Internationale Zusammenarbeit
und Rechtshilfe
Artikel 86
Die Vertragsstaaten arbeiten nach Maßgabe dieses Statuts bei den Ermittlungen
von der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen und
bei deren strafrechtlicher Verfolgung uneingeschränkt mit dem Gerichtshof
zusammen.
Artikel 87
(1) a) Der Gerichtshof ist befugt, die Vertragsstaaten um Zusammenarbeit
zu ersuchen. Diese Ersuchen werden auf diplomatischem oder jedem sonstigen
geeigneten Weg übermittelt, den die Vertragsstaaten bei der Ratifikation,
Annahme oder Genehmigung des Statuts oder dem Beitritt dazu festlegen.
Spätere
Än»å±ð°ù³Ü²Ô²µ±ð²Ô der Festlegung werden von jedem Vertragsstaat in Übereinstimmung
mit der Verfahrens- und Beweisordnung vorgenommen.
b) Gegebenenfalls können unbeschadet
des Buchstabens a die Ersuchen auch über die Internationale Kriminalpolizeiliche
Organisation oder eine geeignete Regionalorganisation übermittelt werden.
(2) Ersuchen um Zusammenarbeit
und alle zu ihrer Begründung beigefügten Unterlagen werden in einer Amtssprache
des ersuchten Staates oder einer der Arbeitssprachen des Gerichtshofs
abgefasst, oder sie werden von einer Übersetzung in eine dieser Sprachen
begleitet, entsprechend der Wahl, die der Staat bei der Ratifikation,
Annahme oder Genehmigung des Statuts oder dem Beitritt dazu getroffen
hat.
Spätere Än»å±ð°ù³Ü²Ô²µ±ð²Ô dieser Wahl werden in Übereinstimmung mit der Verfahrens-
und Beweisordnung vorgenommen.
(3) Der ersuchte Staat behandelt
ein Ersuchen um Zusammenarbeit und alle zu seiner Begründung beigefügten
Unterlagen vertraulich, soweit eine Offenlegung nicht für die Erledigung
des Ersuchens erforderlich ist.
(4) In Bezug auf die nach diesem
Teil gestellten Rechtshilfeersuchen kann der Gerichtshof alle notwendigen
Maßnahmen treffen, einschließlich Maßnahmen zum Schutz von Informationen,
um die Sicherheit oder das körperliche oder seelische Wohl der Opfer,
möglichen Zeugen und deren Angehörigen zu gewährleisten. Der Gerichtshof
kann darum ersuchen, dass alle nach diesem Teil zur Verfügung gestellten
Informationen in einer Weise bereitgestellt und gehandhabt werden, welche
die Sicherheit und das körperliche oder seelische Wohl der Opfer, möglichen
Zeugen und deren Angehörigen schützt.
(5) a) Der Gerichtshof kann jeden Staat, der nicht Vertragspartei dieses
Statuts ist, ersuchen, aufgrund einer Ad-hoc-Vereinbarung, einer Übereinkunft
mit diesem Staat oder auf jeder anderen geeigneten Grundlage Unterstützung
nach diesem Teil zu leisten.
b) Leistet ein Staat, der nicht Vertragspartei dieses
Statuts ist und der eine Ad-hoc-Vereinbarung oder eine Übereinkunft mit
dem Gerichtshof getroffen hat, einem aufgrund der Vereinbarung oder eine
Übereinkunft gestellten Ersuchen um Zusammenarbeit nicht Folge, so kann
der Gerichtshof die Versammlung der Vertragsstaaten oder, wenn der Sicherheitsrat
die Angelegenheit dem Gerichtshof unterbreitet hat, den Sicherheitsrat
davon unterrichten.
(6) Der Gerichtshof kann jede zwischenstaatliche
Organisation ersuchen, Informationen oder Unterlagen beizubringen. Der
Gerichtshof kann auch um andere Formen der Zusammenarbeit und Unterstützung
bitten, die mit dieser Organisation vereinbart werden und mit ihrer Zuständigkeit
oder ihrem Auftrag vereinbar sind.
(7) Leistet ein Vertragsstaat entgegen
diesem Statut einem Ersuchen des Gerichtshofs um Zusammenarbeit nicht
Folge und hindert er dadurch den Gerichtshof an der Wahrnehmung seiner
Aufgaben und Befugnisse aufgrund dieses Statuts, so kann der Gerichtshof
eine entsprechende Feststellung treffen und die Angelegenheit der Versammlung
der Vertragsstaaten oder, wenn der Sicherheitsrat die Angelegenheit dem
Gerichtshof unterbreitet hat, dem Sicherheitsrat übergeben.
Artikel 88 Die Vertragsstaaten sorgen dafür, dass in ihrem innerstaatlichen Recht
für alle in diesem Teil vorgesehenen Formen der Zusammenarbeit Verfahren
zur Verfügung stehen.
Artikel 89
(1) Der Gerichtshof kann jedem
Staat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person vermutlich befindet, ein
Ersuchen um Festnahme und Überstellung dieser Person samt den in Artikel 91
genannten zu seiner Begründung beigefügten Unterlagen übermitteln und
diesen Staat um Zusammenarbeit bei der Festnahme und Überstellung der
Person ersuchen. Die Vertragsstaaten leisten Ersuchen um Festnahme und
Überstellung in Übereinstimmung mit diesem Teil und den in ihrem innerstaatlichen
Recht vorgesehenen Verfahren Folge.
(2) Ficht die Person, um deren
Überstellung ersucht wurde, vor einem innerstaatlichen Gericht auf der
Grundlage des in Artikel 20 festgelegten Grundsatzes ne bis in idem die Überstellung an, so konsultiert der ersuchte Staat
sofort den Gerichtshof, um festzustellen, ob eine entsprechende Entscheidung
über die Zulässigkeit ergangen ist. Ist die Sache zulässig, so fährt der
ersuchte Staat mit der Erledigung des Ersuchens fort. Steht eine Zulässigkeitsentscheidung
noch aus , so kann der ersuchte Staat die Erledigung des Ersuchens um
Überstellung so lange aufschieben, bis der Gerichtshof eine Entscheidung
über die Zulässigkeit fällt.
(3) a) Ein Vertragsstaat genehmigt in Übereinstimmung mit seinem innerstaatlichen
Verfahrensrecht die Beförderung einer von einem anderen Staat an den Gerichtshof
überstellten Person durch sein Hoheitsgebiet, soweit nicht die Durchbeförderung
durch diesen Staat die Überstellung verhindern oder verzögern würde.
b) Ein Durchbeförderungsersuchen
des Gerichtshofs wird in Übereinstimmung mit Artikel 87 übermittelt.
Das Durchbeförderungsersuchen enthält
i) eine Beschreibung der zu befördernden
Person,
ii) eine kurze
Darlegung des Sachverhalts und dessen rechtliche Würdigung und
iii) den Haftbefehl und das Überstellungsersuchen.
c) Während
der Durchbeförderung ist die beförderte Person in Haft zu halten.
d) Eine Genehmigung
ist nicht erforderlich, wenn die Person auf dem Luftweg befördert wird
und eine Zwischenlandung im Hoheitsgebiet des Durchbeförderungsstaats
nicht vorgesehen ist.
e) Kommt es
zu einer unvorhergesehenen Zwischenlandung im Hoheitsgebiet des Durchbeförderungsstaats,
so kann dieser Staat den Gerichtshof um ein Durchbeförderungsersuchen
nach Buchstabe b ersuchen. Der Durchbeförderungsstaat hält die beförderte
Person so lange in Haft, bis das Durchbeförderungsersuchen eingetroffen
und die Durchbeförderung erfolgt ist; die Haft im Sinne dieses Buchstabens
darf 96 Stunden von der unvorhergesehenen Zwischenlandung an nicht
überschreiten, es sei denn, das Ersuchen geht innerhalb dieser Frist ein.
(4) Wird im ersuchten Staat gegen
die gesuchte Person gerichtlich vorgegangen oder verbüßt sie dort eine
Strafe wegen eines anderen Verbrechens als desjenigen, dessentwegen die
Überstellung an den Gerichtshof verlangt wird, so konsultiert der ersuchte
Staat den Gerichtshof, nachdem er beschlossen hat, dem Ersuchen stattzugeben.
Artikel
90
(1) Ein Vertragsstaat, der ein Ersuchen des Gerichtshofs
um Überstellung einer Person nach Artikel 89 und außerdem von einem
anderen Staat ein Ersuchen um Auslieferung derselben Person wegen desselben
Verhaltens erhält, das die Grundlage für das Verbrechen bildet, dessentwegen
der Gerichtshof um die Überstellung der Person ersucht, teilt dies dem
Gerichtshof und dem ersuchenden Staat mit.
(2) Ist der ersuchende Staat ein
Vertragsstaat, so räumt der ersuchte Staat dem Ersuchen des Gerichtshofs
Vorrang ein, wenn
a) der Gerichtshof nach Artikel 18
oder 19 entschieden hat, dass die Sache, derentwegen die Überstellung
verlangt wird, zulässig ist, und bei seiner Entscheidung die Ermittlungen
oder die Strafverfolgung des ersuchenden Staates in Bezug auf dessen Auslieferungsersuchen
berücksichtigt hat, oder
b) der Gerichtshof
die unter Buchstabe a beschriebene Entscheidung aufgrund der Mitteilung
des ersuchten Staates nach Absatz 1 trifft.
(3) Wurde keine Entscheidung nach
Absatz 2 Buchstabe a getroffen, so kann der ersuchte Staat nach
eigenem Ermessen bis zur Entscheidung des Gerichtshofs nach Absatz 2
Buchstabe b das Auslieferungsersuchen des ersuchenden Staates weiterbehandeln,
liefert die Person jedoch nicht aus, bis der Gerichtshof entschieden hat,
dass die Sache unzulässig ist. Die Entscheidung des Gerichtshofs wird
beschleunigt gefällt.
(4) Handelt es sich beim ersuchenden
Staat um einen Staat, der nicht Vertragspartei dieses Statuts ist, so
räumt der ersuchte Staat, sofern er nicht völkerrechtlich verpflichtet
ist, die Person an den ersuchenden Staat auszuliefern, dem Überstellungsersuchen
des Gerichtshofs Vorrang ein, wenn der Gerichtshof entschieden hat, dass
die Sache zulässig ist.
(5) Hat der Gerichtshof nicht entschieden,
dass eine Sache nach Absatz 4 zulässig ist, so kann der ersuchte
Staat nach eigenem Ermessen das Auslieferungsersuchen des ersuchenden
Staates weiterbehandeln.
(6) Findet Absatz 4 Anwendung,
ist der ersuchte Staat jedoch völkerrechtlich verpflichtet, die Person
an den ersuchenden Staat, der nicht Vertragspartei dieses Statuts ist,
auszuliefern, so entscheidet der ersuchte Staat, ob er die Person an den
Gerichtshof überstellt oder an den ersuchenden Staat ausliefert. Bei seiner
Entscheidung berücksichtigt der ersuchte Staat alle maßgeblichen Umstände,
insbesondere, jedoch nicht ausschließlich,
a) das jeweilige Datum der Ersuchen,
b) die Interessen des ersuchenden
Staates, darunter gegebenenfalls die Frage, ob das Verbrechen in seinem
Hoheitsgebiet begangen wurde, und die Staatsangehörigkeit der Opfer und
der gesuchten Person und
c) die Möglichkeit
einer späteren Überstellung der Person zwischen dem Gerichtshof und dem
ersuchenden Staat.
(7) Erhält ein Vertragsstaat vom
Gerichtshof ein Ersuchen um Überstellung einer Person und außerdem von
einem Staat ein Ersuchen um Auslieferung derselben Person wegen eines
anderen Verhaltens als desjenigen, das den Tatbestand des Verbrechens
erfüllt, dessentwegen der Gerichtshof die Überstellung der Person verlangt,
a) so räumt der ersuchte Staat,
soweit er nicht völkerrechtlich verpflichtet ist, die Person an den ersuchenden
Staat auszuliefern, dem Ersuchen des Gerichtshofs Vorrang ein;
b) so entscheidet
der ersuchte Staat, sofern er völkerrechtlich verpflichtet ist, die Person
an den ersuchenden Staat auszuliefern, ob er die Person an den Gerichtshof
überstellt oder an den ersuchenden Staat ausliefert. Bei seiner Entscheidung
berücksichtigt der ersuchte Staat alle maßgeblichen Umstände, insbesondere,
jedoch nicht ausschließlich, die in Absatz 6 genannten Umstände;
besondere Berücksichtigung finden dabei jedoch das Wesen und die Schwere
des fraglichen Verhaltens im jeweiligen Fall.
(8) Hat der Gerichtshof aufgrund
einer Mitteilung nach diesem Artikel entschieden, dass eine Sache unzulässig
ist, und wird später die Auslieferung an den ersuchenden Staat abgelehnt,
so teilt der ersuchte Staat dem Gerichtshof diese Entscheidung mit.
Artikel 91
(1) Ein Festnahme- und Überstellungsersuchen
erfolgt schriftlich. In dringenden Fällen kann ein Ersuchen über jedes
Medium erfolgen, das in der Lage ist, eine schriftliche Aufzeichnung zu
hinterlassen; allerdings muss das Ersuchen auf dem in Artikel 87
Absatz 1 Buchstabe a vorgesehenen Weg bestätigt werden.
(2) Ein Ersuchen um Festnahme und
Überstellung einer Person, gegen die von der Vorverfahrenskammer ein Haftbefehl
nach Artikel 58 erlassen wurde, enthält beziehungsweise wird begleitet
durch
a) eine Beschreibung
der gesuchten Person, die ausreicht, um sie zu identifizieren, sowie Angaben
über den Ort, an dem sie sich vermutlich aufhält,
b) eine Abschrift
des Haftbefehls und
c) die Unterlagen, Erklärungen
oder Informationen, die erforderlich sind, um den Vorschriften für das
Überstellungsverfahren im ersuchten Staat Genüge zu tun; diese Vorschriften
sollen jedoch keine größere Belastung als die auf Auslieferungsersuchen
aufgrund von Verträgen oder Vereinbarungen zwischen dem ersuchten Staat
und anderen Staaten anwendbaren Vorschriften darstellen; sie sollen vielmehr
unter Berücksichtigung des besonderen Charakters des Gerichtshofs möglichst
eine geringere Belastung darstellen.
(3) Ein Ersuchen um Festnahme und
Überstellung eines bereits Verurteilten enthält beziehungsweise wird begleitet
durch
a) eine Abschrift
jedes Haftbefehls gegen diese Person,
b) eine Abschrift
des Schuldspruchs,
c) Informationen,
aus denen hervorgeht, dass es sich bei der gesuchten Person um diejenige
handelt, die im Schuldspruch genannt ist, und
d) wenn ein
Strafspruch gegen die gesuchte Person ergangen ist, eine Abschrift des
Strafspruchs, und im Fall einer Freiheitsstrafe eine Erklärung über die
bereits verbüßte und die noch zu verbüßende Freiheitsstrafe.
(4) Auf Ersuchen des Gerichtshofs
konsultiert ein Vertragsstaat den Gerichtshof entweder allgemein oder
in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit hinsichtlich aller Vorschriften
seines innerstaatlichen Rechts, die nach Absatz 2 Buchstabe c
Anwendung finden können. Dabei setzt der Vertragsstaat den Gerichtshof
von den besonderen Vorschriften seines innerstaatlichen Rechts in Kenntnis.
Artikel 92
(1) In dringenden Fällen kann der
Gerichtshof bis zur Vorlage des Überstellungsersuchens und der in Artikel 91
genannten Unterlagen um vorläufige Festnahme der gesuchten Person ersuchen.
(2) Das Ersuchen um vorläufige
Festnahme kann über jedes Medium erfolgen, das in der Lage ist, eine schriftliche
Aufzeichnung zu hinterlassen; es enthält
a) eine Beschreibung der gesuchten
Person, die ausreicht, um sie zu identifizieren, sowie Angaben über den
Ort, an dem sie sich vermutlich aufhält,
b) eine knappe
Darstellung der Verbrechen, derentwegen die Festnahme der gesuchten Person
verlangt wird, sowie der Tatsachen, die angeblich den Tatbestand dieser
Verbrechen erfüllen, einschließlich, soweit möglich, des Datums und des
Ortes der Verbrechensbegehung,
c) eine Erklärung
über das Vorliegen eines Haftbefehls oder eines Schuldspruchs gegen die
gesuchte Person und
d) eine Erklärung,
dass ein Überstellungsersuchen nachgereicht werden wird.
(3) Eine vorläufig festgenommene
Person kann aus der Haft entlassen werden, wenn der ersuchte Staat das
Überstellungsersuchen und die in Artikel 91 genannten Unterlagen
nicht innerhalb der in der Verfahrens- und Beweisordnung vorgesehenen
Fristen erhalten hat. Die Person kann jedoch vor Ablauf dieser Frist der
Überstellung zustimmen, wenn das Recht des ersuchten Staates dies zulässt.
In diesem Fall nimmt der ersuchte Staat ihre Überstellung an den Gerichtshof
so bald wie möglich vor.
(4) Die Tatsache, dass die gesuchte
Person nach Absatz 3 aus der Haft entlassen wurde, schließt ihre
spätere Festnahme und Überstellung nicht aus, wenn das Überstellungsersuchen
und die beigefügten Unterlagen zu einem späteren Zeitpunkt übermittelt
werden.
Artikel 93
(1) Die Vertragsstaaten entsprechen
in Übereinstimmung mit diesem Teil und nach den im innerstaatlichen Recht
vorgesehenen Verfahren den Ersuchen des Gerichtshofs um die nachstehenden
Formen der Rechtshilfe im Zusammenhang mit Ermittlungen oder Strafverfolgungen:
a) Identifizierung und Feststellung
des Verbleibs von Personen oder Lokalisierung von Gegenständen,
b) Beweisaufnahme, einschließlich
beeideter Zeugenaussagen, und Beibringung von Beweismitteln, einschließlich
Sachverständigengutachten und Berichten, die der Gerichtshof benötigt,
c) Vernehmung
[51]
von Personen, gegen die ermittelt wird oder die strafrechtlich verfolgt
werden,
d) Zustellung
von Unterlagen, einschließlich gerichtlicher Schriftstücke,
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